Entwicklung und Untergang des Volksgeistes - historische Parallelen

 

Ein vom Geist „geschaffenes“ Volk ist als welthistorisch zu betrachten, wenn es sich als Grundlage ein „allgemeines Prinzip“ gewählt hat, d.h. es gilt somit als ein sittlicher und politi­scher Zusammenschluß. Ein solch komplexes Gebilde wie der Staat, durch das Volk gebildet, ist das „Werk“ des Geistes und ein solches Werk kann nur dann geschaffen werden, wenn es eine solide Basis besitzt. Nur durch eine spontane Begierde des Volkes, der nur eine kurzlebige Schwärmerei unterliegt, käme dieses Werk nicht zustande. Im Gegenteil, das Resultat wäre im Endeffekt Verderben und Zerstörung. Die Geschichte zeigt dies. In der griechischen Mytholo­gie gab es damals den Herrscher Kronos. Der Name wird auch heute noch mit dem Bösen ver­knüpft; er „erzeugte Kinder (Taten)“ und „zehrte sie wieder auf“. In jener Zeit wurden auch keine sittlichen Werke geschaffen. Erst Zeus schuf ein solches: den Staat.

Der Volksgeist ist von dem Bewußtsein des Volkes abhängig. Aufgrund dieses vom Volk selbst entwickelten Bewußtseins handelt das Volk zweck- und interessenorientiert und ist des­halb fähig, daraus Religion, Rechte und Sitten zu entwickeln. Der Volksgeist kann von ein­zel­nen Individuen nicht beeinflußt werden, „es geschieht was geschehen muß“ (Zitat Hegel).

Einzelpersonen sind daher nicht fähig z.B. allein Unheil vom Staat abzuwenden, sondern sie sind höchstens Werkzeug des Allgemeinen, Substantiellen und handeln zu dessen Zweck.

Dieser spezielle Volksgeist kann untergehen, man betrachte z.B. das Volk der Inka in Süd­amerika oder der Azteken in Mittelamerika. Er ist jedoch ein Teil einer Kette, die verschiedene, allgemeine Volksgeister zusammenfaßt und im Weltgeist aufgeht. Dieser absolute, göttliche Geist ist in jedem Individuum vorhanden, obwohl jede Einzelperson einem bestimmen Volks­geist, mit sich jeweils unterscheidenden Charakterzügen bezüglich Religion, Recht und Sitt­lichkeit, angehört.

Der Volksgeist unterscheidet sich vom individuellen Geist, der die Freiheit des Einzelnen unter Berücksichtigung dessen moralischen Bewußtseins und dessen persönlicher Wertschätzung hervorhebt, durch die aus der Erkenntnis komplexer, mannigfaltiger Erfahrungen einer Gruppe bestimmter Individuen gebildeten, objektiven Prinzipien, die eine Nation oder einen Volksgeist prägen, dessen Selbstverwirklichung und Entfaltung sich in der Ausübung bestimmter Wissen­schaften, der Religion und der Kunst äußert. Der Volksgeist, der zunächst zweckbedingt han­delt, besitzt aber den Trieb, sich selbst zu erfassen. Dazu ist er in der Lage, da er „denken“ kann, da er fähig ist, seine Gedanken zu erfassen. Somit hat er die höchste Stufe der Selbster­kenntnis erreicht, und er entfernt sich deshalb auch von seinen ursprünglichen Prinzipien, um neue Erkenntnisse der Prinzipien anderer Völker zu erlangen.

Der Geist eines Volkes verkörpert sich in seinem weltlichen Wesen, als da z.B. wären Kultur, Religion, Sitten, Gebräuche, Kunst Verfassung, politische Gesetze und zeigt sich dem Indivi­duum als eine schon bestehende, realisierte Welt in die sich jeder Einzelne einzufügen und de­ren Werte er sich anzueignen hat. Das zum Zwecke des Geistes bedingte, objektive Handeln des Volkes kann man als sittlich bzw. tugendhaft bezeichnen, da es seine Werte auch gegen widrige äußere Umstände, d.h. gegen eine „von außen kommende“ Gegnerschaft verteidigt; die Einzelperson identifiziert sich noch mit dem vom Volksgeist geschaffenen Werk, sie unter­scheidet nicht mehr zwischen seinem Wesen an sich und der Realität.

Ist nun einmal dieses große Ziel des Geistes, die Einheit zwischen Sein und Schein, und damit die Einheit des Volkes erreicht, ebbt das Interesse an der Durchsetzung seines Tuns und sein Engagement ab, da er ja schon alles erreicht hat und damit vollkommen ist. Der Volksgeist ist übersättigt, er verhält sich wie eine Pflanze. Nach der „großen Blütezeit“ beginnt den Gesetzen der Natur folgend ein Zerfallsprozeß, an dem der Volksgeist auch zugrunde geht. Befindet sich der Geist noch in seiner Entwicklung, herrscht der Drang zur Verwirklichung seiner selbst; hat er dieses Selbstbewußtsein einmal erreicht, „läßt er sich gehen“, er besitzt keine Motivation mehr, weiter intensiv zu handeln.

Konkret besteht in der Drangphase eines jungen Volkes, wie beispielsweise im zerstörten Deutschland, beim besiegten deutschen Volk nach dem Zweiten Weltkrieg, der Wille, die Mo­tivation dieses Volkes seine Nation, das Vaterland aufzubauen (oder es zu erhalten), seinen Zweck zu erreichen und zu erfüllen. So war es beim deutschen „Wirtschaftswunder“ in den 50er Jahren, als aus einer Not eine Tugend gemacht wurde und Deutschland dadurch zu einer der weltweit größten Wirtschaftsmächte aufstieg. Ist dieses Ziel erreicht, herrscht von nun an die Gewohnheit, umgangssprachlich der „Alltagstrott“. Das Volk ist, wie schon gesagt, von dem schon Erreichten (Erfolg) übersättigt. Ähnliche Zustände lassen sich in dem heutigen, kapitalisti­schen Deutschland erkennen. Wie der Volksgeist an dem „Genusse seiner selbst“ stirbt, geht das Individuum an der „Gewohnheit des Lebens“ zugrunde. Es kann sich zwar noch, sei es in Kriegs- oder in Friedenszeiten, etablieren, die Gemeinschaft, die Einheit des Volkes bezüglich bestimmter Interessen ist aber nicht mehr vorhanden, sondern wird nur noch durch bestimmte Individuen geprägt, die meist nur noch ihre eigenen Zwecke verfolgen und nicht mehr die des Volkes.

In Anbetracht des Verlaufs der Weltgeschichte, sehen sich viele von Hegel erörterte Theorien bestätigt. Beispielsweise gab es doch immer große Völker, die großen Reichtum besaßen und eine gewaltige Macht, die sich über große Herrschaftsgebiete erstreckte, hatten. Man denke da nur an das Römische Reich oder an das Reich Alexanders des Großen. Diese Staaten waren reich an kulturellen Gütern, deren ästhetische Ausstrahlung auch die heutige Kunst noch be­einflußt. Auch konnten sie ein hohes Bildungsniveau vorweisen. Dennoch sind diese Reiche vergan­gen. Ihre Völker spielen in der Gegenwart eine mehr oder weniger untergeordnete Rolle. Gründe dafür kann man im Wandel derer Lebensweise sehen, der sich dadurch ergab, daß nach Jahren des militärischen und wirtschaftlichen Erfolgs und Ruhmes, speziell im Falle Roms, die Völker „übersättigt“ waren. Als Beispiel soll das Römische Reich herangezogen werden: Die Bürger Roms durften, durch die militärischen Erfolge ihres damals unschlagbaren Heeres, ein Leben in Luxus und Reichtum genießen. Diese Tatsache wurde jedoch sehr schnell zur Gewohnheit und schon bald stellte sich eine gewisse Monotonie im Alltagsleben ein, der die Römer schnell überdrüssig wurden. Um ihre Langeweile zu vertreiben, beschäftig­ten sich insbesondere die ehemals erfolgreichen Feldherren mit sinnlosen, teilweise „makabren“ Spielen im Circus Maximus von Rom, wo z.B. Kriegsgefangene den wilden Tieren zum Fraß vorge­worfen wurden, bzw. Gladiatoren im grausamen Zweikampf ihr Leben lassen mußten. Auch die äußere Erscheinung eben jener berühmten Militärs änderte sich. Die Feldherren, die früher durch ihre Athletik den typischen Soldaten verkörperten, wie er dem Ideal entsprach, wurden durch die zahlreichen „Orgien“ fett und unförmig. Sie waren der Spiegel ihres deka­denten Le­benswandels. Solche negativen Tendenzen lassen sich auch teilweise im fortschrittli­chen, kapi­talistischen Westeuropa, auch in Deutschland, erkennen.

Deutschland wurde, nachdem es den Zweiten Weltkrieg verloren hatte, und wirtschaftlich, so­zial, so­wie auch militärisch und politisch „am Boden lag“, durch den aufopferungsvollen Wil­len seines Volkes und dessen enormen Tatendrang im Laufe der Jahrzehnte wieder sehr schnell zu einer politischen und wirtschaftlichen Macht. Es wurde „ehrfürchtig“ von dem „deutschen Wirt­schaftswunder“ gesprochen. Doch auch hier wandelte sich eine positive Erscheinung sehr schnell ins Negative. Schuld daran ist zum Teil der im Kapitalismus sehr stark ausgeprägte Sinn nach noch mehr Macht und Kapital, vor allem auf wirtschaftlichem Sektor.

Auch im deutschen Volk macht sich diese Dekadenz, die schon im römischen Volk vorhanden war, wenn auch vielleicht nicht in diesem Ausmaß, bemerkbar.

Auf jeden Fall war diese Dekadenz, wie sie auch ansatzweise hierzulande schon erkennbar ist, schon im alten Rom ein entscheidender Faktor für dessen Untergang.

Das allzu bequeme Leben der Römer wirkte sich auch negativ auf die Streitkräfte aus. Diese verloren ihren Leistungsstandard und waren bald darauf den in großer Zahl auf römisches Territorium eindringenden Barbaren aus dem Osten unterlegen. Das Römische Reich erreichte die letzte, höchste Stufe seiner Existenz und mußte einem anderen, emporstrebenden, jungen Volk weichen. Die Weltgeschichte nahm in der Vergangenheit ihren Lauf und wird dies auch in der Gegenwart und in der Zukunft tun. Es bleibt die Hoffnung, daß Deutschland diese finale Stufe noch nicht erreicht hat. Der Verfall der Werte hängt sehr stark mit dem Erreichen einer der o.g. Stufen (Entwicklungsplateaus) zusammen und ist folglich vorprogrammiert. Vor allem nach Eintritt der sogenannten „Gewohnheit“ ist ein rapider Abfall hinsichtlich der Wert­vorstel­lungen erkennbar.

 

...aus: MK., Hauptseminararbeit Pädagogik: Verfall der Werte in Deutschland, Karlsruhe 1997, S. 4 - 6.

 

 

 

 

 


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